Redebeitrag Demo 07.11. zum Jahrestag der NSU-Selbstenttarnung

Vor einigen Wochen war der 20. Todestag von Enver Șimșek, das erste Mordopfer des Nationalsozialistischen Untergrund. Das LKA Berlin hatte einen Spitzel in diesem rechten Terrornetzwerk: Thomas Starke. 1996 war er mit dem NSU-Kerntrio eng befreundet und besorgte ihnen das erste Kilogramm TNT-Sprengstoff. 2001 wurde er vom LKA Berlin als Spitzel angeworben, oder im Behördensprech: Vertrauensmann, kurz V-Mann. Sein V-Mann-Führer war der damalige Leiter des Staatsschutz-Dezernats „Rechts“, sowie dessen Kollege, der heutzutage vor allem wegen einer „88“ SMS bekannt ist. Diesen beiden LKA-Beamten gab der Spitzel mindestens 5 mal (!) Hinweise auf das untergetauchte NSU-Kerntrio. Das Berliner LKA machte mit diesen Hinweisen: nichts. Möglicherweise hätten mehrere der Morde verhindert werden können, wenn das LKA nicht seinen Spitzel geschützt hätte. Im NSU-Prozess in München war der V-Mann-Führer als Zeuge geladen, seine Erinnerung: lückenhaft. Weiß nicht mehr, nicht sicher, kann mich nicht erinnern. Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen.

Wir sollten uns aber vom LKA Berlin nicht einlullen lassen: die sind nicht einfach inkompetent, sondern wissen ziemlich genau was sie tun. Wie sonst soll man die systematischen Aktenvernichtungen im LKA erklären, als es eigentlich um die Aufklärung des NSU-Netzwerkes gehen sollte? Neonazis sind für das LKA einfach kein sonderlich großes Problem, damals nicht, und heute offenbar auch nicht.

Der NSU hatte aber nicht nur über Polizei und Verfassungsschutz enge Verbindungen nach Berlin. In Berlin gibt es schon lange militante Zellen in der Neonaziszene, die bewaffnet sind und auch Morde begehen. Viele Personen aus dem NSU-Netzwerk waren oft in Berlin, besonders in Lichtenberg bei den Gruppierung Hammerskins und Vandalen. In einem rechten Tattostudio in Lichtenberg, das auch heute noch existiert, wurden Waffendeals zwischen Neonazis abgewickelt. Das wissen wir nicht durch Ermittlungen der Polizei, sondern durch antifaschistische Recherche.

Auch die Neuköllner Neonazis haben heutzutage vom Staat nichts zu befürchten, zu eng sind die Verbindungen mit der Polizei. Zum Haupttäter, dem Neonazi Sebastian Thom, gab es bereits vor Jahren den ironischen Spitznamen „Justizwunder“, weil er von der Justiz überaus soft und rücksichtsvoll behandelt wird. Seitdem steht er im Verdacht, V-Mann des LKA zu sein, also ein bezahlter Spitzel, der Geld vom Staat bekommt, das dann mglw. zum Ausbau der Neonazistrukturen verwendet wird. Dieser Neonazi und seine Komplizen konnten in den letzten Jahren unzählige Brandanschläge in Neukölln verüben, obwohl sie vom Landeskriminalamt UND vom Verfassungsschutz observiert wurden.

Das ist aber nicht der einzige Fall einer mutmaßlichen Zusammenarbeit von Neonazis und Polizist:innen in Neukölln. Es vergeht ja inzwischen keine Woche, ohne dass in Berlin neue rechte Chatgruppen aufgedeckt werden, oder Polizeibeamte die total auf Hakenkreuze abfahren. Wir könnten endlos weiter über rechte Polizist:innen in Berlin erzählen, z.B. das Pärchen vom LKA, das Personendaten aus dem Polizeicomputer nahm, und dann Drohbriefe an mehrere dutzend linke Menschen in Berlin verschickte. Und so weiter und so fort.

Die Hinterbliebenen und Betroffenen des NSU-Terrors fordern seit Jahren: Kein Schlussstrich! Kein Schlussstrich fordern wir auch in Neukölln. Wir gedenken Burak Bektaș und Luke Holland, die in Neukölln von Neonazis umgebracht wurden. Lukes Mörder war Nazi durch und durch, hatte zuhause ein extra Zimmer voll mit Nazidevotionalien. Das Gerichte sagte: kein politisches Motiv erkennbar. Buraks Mörder ist bis heute unbekannt. Die Polizei machte von anfang an das, was sie so oft macht: Migrationsgeschichte gleich Kriminalität. Buraks Freunde und Familie wurden sofort verdächtigt, etwas mit Drogengeschäften zutun zu haben. Beim Fall von Burak und den ganzen rechten und rassistischen Angriffen in Neukölln, wollen Senat und Polizei am liebsten schnell: einen Schlußstrich ziehen.

Deswegen dürfen wir nicht nachlassen, wir müssen weiter Druck machen, bis der Mörder von Burak gefunden ist, bis das rechte Netzwerk zwischen Polizei und Neuköllner Neonazis zerschlagen ist, bis die alltägliche rassistische Polizeipraxis auf der Straße ein Ende hat.

No justice no peace